Wir sind seit einem Jahr Zuhause in Köln, und unsere Reise hallt nach! Vieles hat sich verändert, fühlt sich leichter an, als würden wir immernoch von unserem Jahr Auszeit getragen. Was bleibt?
Ich gestehe: Es ist mir peinlich. Wenn sich Leser bei mir melden, die a) durch Zufall auf unsere Seite gestoßen sind oder b) unsere Seite abonniert hatten und feststellen, dass es keinen Schluss gibt! „Was ist nur mit Euch passiert?“, fragen sie dann. „Ist gar etwas passiert?“ Oder warum endet Eure Reisebeschreibung so abrupt? Eine Reise ohne Ende, das geht gar nicht!
Dass es einen Schreib- und Publizierstopp gab, hatte seine Gründe. Dass er so lange anhielt, war dagegen nicht geplant. Vor vierzehn Monaten etwa sahen wir das erste mal die norwegische Küste. Wir waren berauscht. Als hätte man uns Glückspillen in den Kaffee gekippt. Fröhlichmacher. Seligkeitsspender. Wie kollektiv Ahoi-Brause ins Hirn geblubbert. Oder wie ein Drops im Mund. Nach und nach seine fruchtige Süße abgebend. Eine Verheißung. Der Anblick der Küste wühlte etwas in uns auf, von dem wir gar nicht wussten, dass es irgendwo in uns herumdümpelt. Ein bisschen so, als wären wir angekommen auf unserer ja damals schon zehn Monate währenden Reise durch Europa. ‚Home‘ schrie alles in uns. Wir sind Zuhause. Und dieses Zuhause wollten wir alleine in Augenschein nehmen. Nur mit uns. (Dass wir wieder in Köln gelandet sind und uns hier mittlerweile auch glücklich schätzen, kommt später.)
Ich hatte die Wahl: Kinder erleben oder über Kinder schreiben
Jeder der bloggt, weiß, Bloggen ist bei aller Freude darüber, Erlebnisse festhalten und niederschreiben zu dürfen, auch Arbeit. Und ich stellte fest, dass mir diese Arbeit, vor allem die Zeit, die ich an der Tastatur verbringe, Bilder raussuche, bearbeite, oder gar Filme schneide, (was ich zu Beginn und im Vorfeld der Reise noch ausgiebig gemacht hatte), meine Zeit mit der Familie, mit Andi und den Kindern, einkürzt. Schwupps, wieder eine Stunde weg, die wir gemeinsam hätten verbringen können. Hör nur, wieder zigmal ‚Mama‘ mit einem missliebigen Blick auf meinen Rechner. Ich hatte die Wahl: Entweder, ich setze das Bloggen fort, oder ich verbringe die letzten Monate unserer Auszeit nur und alleine mit den Kindern, mit Andi, mit mir. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
Monate lang offline – und zwar rigoros
Ich ging in dieser Zeit meinem Charakter entsprechend radikal vor: Ich gab nicht nur das Bloggen auf, ich löschte unter dem Gejohle meiner Familie Facebook, Twitter und Whatsapp von meinem Mobile. Ich verstaute das Handy in einer Kiste, die einmal am Tag geöffnet wurde, um zu prüfen, ob meine Mutter oder Andis Eltern angerufen hatten oder uns wahlweise bei ihnen zu melden, um herauszufinden, ob mit unseren Familienältesten alles in Ordnung war. Sonst nichts. Stille. Eine ungemein befreiende, fokussierende Stille. Wir schwammen mit den Kindern im Fluss, paddelten zu Schären, wir machten Picknicke, warfen Reusen aus und zogen sie wieder ein, wir saßen an Stegen, auf Molen, auf eiszeitlich glatt geschliffenen Felsen, im Wald, im Bus, auf dem Boden, klapprigen Klappstühlen, im Sand, am Strand – oft niemand um uns herum außer uns selbst. Das war zu schön, um wahr zu sein. Wir waren glücklich, alle miteinander und jeder für sich. Und das wollte ich mir nicht mehr von mir selber nehmen lassen.
Das ist die Geschichte nach der Jahrespause
Ein paar der schönsten Plätze aus Skandinavien werde ich nachreichen. Etwa, der Camping in Kritiansand, ein völlig leerer Camping am Flüsschen Nidelva, mein Geburtstag am Folgefonna, dem drittgrößten Gletscher in Norwegen, unserer Zeit in Schweden und unsere Wahnsinnsrückfahrt über Finnland, das Baltikum und Polen back home nach Köln.
Doch das hier, ist jetzt das letzte Jahr im Schnellcheck: Was ist seit der Reise passiert, ein Jahr nach unserer lange ersehnten Auszeit!
Die Fakten:
Wir leben wieder in Köln, in unserem Haus, Andi und ich arbeiten und die Kinder gehen in die Schule. Paul ist mittlerweile 14 und geht in Teilen seine eignen Wege. Fannie ist 12 und auch sie wird flügge. Liv ist gerade sieben geworden und geht nun schon in die zweite Klasse. Alle Kinder sind ihrem Jahrgang entsprechend wieder in ihre Stufe eingestiegen, Paul also nach unserer Rückkehr in die 8te Klasse, Fannie in die 6, Liv wurde einen Tag nach unserer Rückkehr eingeschult.
Die Rückkehr und die Wiedereingliederung lief erst schleppend. Vor allem, weil wir „Alten“ nicht bereit waren. Wir waren in unserem Reisemodus und wussten nicht, wohin mit uns und was mit unserem Leben anstellen. So schön die Freiheit auch ist, die schier endlosen Perspektiven, die sich daraus eröffnen, zehren an den Nerven.
Heute sind wir froh und glücklich, diese Reise erlebt haben zu dürfen. Wir hatten ein Jahr frei! Unglaublich, selbst für uns im Rückblick.
Und die Reise hat wahnsinnig viel freigesetzt.
Ja, was denn?
Wir sind als Familie untrennbar verbunden, haben eine sehr innige Beziehung zu unseren Kindern. Die Wurzeln sind da, nun beobachten wir erstaunt und bewundernd, wie sie die Flügel strecken.
Die Kinder haben den Schuleinstieg nach anfänglichen Turbulenzen bravourös gemeistert und sich wieder ein wunderbares soziales Umfeld aufgebaut. Sie haben Freunde gewonnen und alte Freunde wiederentdeckt.
Wir arbeiten weniger als vorher, was uns trotz Einkommenseinbußen wesentlich entspannter sein lässt!
Denn: Wir haben mehr Zeit!
Was machen wir damit?
Ich habe ein Buch über die Reise verfasst.
Habe einige neue Auftraggeber gefunden und arbeite halb journalistisch, halb PR (vor der Reise habe ich mehr PR gemacht)
Unser Haus arbeitet hart am Zusatznamen „Zoo“: Die jüngsten Neuzugänge sind die zwei zehn Wochen alte Hauskätzchen Socke und Tiger. Sie teilen Haus und Garten mit den Hühnern Tante Trude, Hildgard, Gänseblümchen, Madame und Kokoschka. Und natürlich mit Charlie, unangefochtener Hausdame.
Die Hühner machen uns zumindest in Sachen „Eier“ zu Selbstversorgern.
Wir lieben endlich wieder unser Köln. Unsere kleine Straße, die Nachbarschaft, unsere Freunde. Wir haben die Augen weit offen für die faszinierend eigentümlichen Seiten unseres „Veedels“ und drücken bei den Schmuddelecken auch mal ein Auge zu. Überhaupt drücken wir öfter mal ein Auge zu, wo wir früher härter geurteilt haben. Heute sehen wir Farben, wo vorher grau vorherrschte. Durch unsere Abwesenheit und unser Neuentdecken danach, ist Köln zu unserer Heimat geworden. Wir wissen, dass wir weg waren und wieder auf Tour gehen können, wenn die Zeit reif ist – das befreit uns von dem Gefühl, im Hamsterrad zu stecken und macht uns froh. Ich glaube, das ist das Geheimnis.
Wir leben Neuland. Auch wenn wir nicht reisen. Wir entdecken, lernen, machen viel mehr das, was wir wollen als zuvor. Beispiele: Ich habe einen Trainerschein im Klettern gemacht (stand seit Jahren unerledigt auf meinem Zettel) und ich fange gerade an, Klettereinweisungen und Kinderklettern zu begleiten. Andi hat uns allen in den Ferien Windsurfen beigebracht. Vier Wochen lang Brouwersdam und surfen, was der Wind hergibt (der eine mehr, der andere weniger) Und keiner hatte das Gefühl, wie verpassen etwas, wenn wir nicht weiterreisen. Andi und ich haben uns endlich aufgemacht, gemeinsam am Segelschein zu arbeiten, was wir seit mehr als zehn Jahren tun wollten. Die Terrasse hat eine Loungeecke – von der wir jahrelang geredet hatten. Fannie spielt Hockey, Liv geht Kickboxen und Paul ist wieder in seiner Handballmannschaft integriert, macht aber jeden Sport, der ihm unter die Nägel kommt. Alle tun, wonach ihnen der Sinn steht. Jeder für sich und miteinander.
Der VW-T3 steht in der Werkstatt und bekommt ein neues Kleid – darüber werde ich auf jeden Fall schreiben.
Nachrichten, Whatsapp, Facebook, Instagram, Twitter konsumiere ich nurmehr homöopathisch. Lieber weniger im Netz, mehr im Jetzt.
Unsere Auszeit hat uns verändert. Wir wissen heute, wir haben die Freiheit zu gehen und wir würden einen Weg finden, es wieder zu tun (was derzeit nicht ansteht, weil weder die Kinder reisen wollen noch wir reisen können, da wir in der Nähe meiner meiner Mutter und Andis Vater sein wollen.)
Wir haben die Freiheit und wir können es tun. Das lässt uns gestärkt und freudiger unser Leben an Ort und Stelle bleiben. Neuland ist überall!