Mitten im Nirgendwo, etwa hundertdreißig Kilometer südlich von Budapest, in der sandigen Erde der ungarischen Puszta, leben Dominik und Esther mit ihrem Sohn Elia. Die beiden Schweizer haben ein Haus gebaut und bewirtschaften ein Stück Land. Lest einmal, was die Stille und Weite der Landschaft aus ihnen hervorbringt. Stille? Da tönt doch Technomusik herüber. Aber der Reihe nach. Eine Lesegeschichte.

Pssst! Schärft Eure Sinne und lauscht in die Morgenstimmung hinein. Schaltet die Autogeräusche aus, die an Euer Ohr dringen, schaut nicht auf das Durcheinander in der Küche, stellt den Hintergrundpegel ab, der aus dem Fernseher quillt. Tut einfach so, als ob ihr das Ohr an eine schimmernde Muschel lehnt und dem Ozean den Rhythmus seiner Wellen entlockt.

Hört Ihr sie, die Pappeln, die in einer Reihe gepflanzt nebeneinander im Wind stehen? Könnt Ihr die Blätter der Akazien erlauschen? Sie erzählen gerade leise murmelnd ihre Geschichte. Von der Weite der Landschaft, dem kargen, sandigen Boden, auf dem sie wachsen, vom brütend heißen Sommern, in denen sie Schatten spenden und Wintern, die so kalt sind, dass die Luft um sie herum gefriert. Sie erzählen von dem alten Bauern, der täglich die Kühe an ihnen vorbei treibt, früh morgens auf die Weide und am späten Nachmittag in den Stall zurück. Von Istvanne und Andrea, die mit der gebratenen Ente im Gepäck auf den Hof fahren. Die Weiden warten sehnsüchtig auf eines der wenigen Ereignisse, das sie regelmäßig mitnehmen – das Bofrost-Auto, das samstags die Sandpiste durchpflügt. Und dann lachen sie über Tappi, den Hofhund, der immer auf’s Neue zum Tor der kleinen Farm läuft und dem Auto nachbellt.

Sie wissen nun auch von uns, einer Familie, die auszog, um ihren Kindern das Leben zu lehren und ihnen Vertrauen in die Welt zu geben. Und sie kennen Dominik und Esther, die genau dieses kleine Stückchen Erde mitten in der ungarischen Puszta zu ihrem Zuhause erkoren haben.

Und jetzt schärft Eure Augen. Seht ihr das kleine Haus am Ende des Weges stehen, zwischen den Bäumen? Die Schaukel baumelt noch am Walnussbaum. Die Sonne wärmt gerade Elia, der auf seinem kleinen selbstgebauten Spielplatz früh morgens die Rutsche herunter rutscht. Obwohl der Herbst sich schon unter der Haut eingenistet hat, sitzt Domenik in seine Jacke gehüllt auf der Holzveranda unter dem großen Dach und raucht seine Zigarette. Esther kommt gerade, die Schubkarre beladen mit Gras, zu den Ställen der Hasen und Hühner und füttert sie. Seht ihr die beiden Schweine, die gerade über und über mit Maisbrei bekleckert sich im Schlamm suhlend über ihre nächste Ladung Futter hermachen? Und hier, die Hühner, die sich standhaft weigern, Eier zu legen.

Hört. Dominik und Esther reden gerade miteinander.

Wir haben doch Zeit
„Was steht heute an?“, fragt Esther Dominik. „Ich denke, wir werden mit dem Zaun beginnen. Tappi macht uns sonst die neuen Hügelbeete noch kaputt“, antwortet er. Wenig später seht ihr ihn, wie er die Jacke auf die Seite geworfen die Pflöcke im Kreis um die Beete einschlägt. Paul und Andi suchen schon passende Äste zusammen, um sie zwischen den Pflöcken zu verweben. Etwas später stehen alle nur noch in Sweatshirts da, denn bei der Arbeit wird’s warm.

„Machen wir Mittag“ läutet Dominik die Mittagspause ein und zaubert auf der einzigen Herdplatte in der Sommerküche hinter dem Haus, ein wenig eingegraben in die Erde, ein köstliches Stew aus allem, was er findet: Kichererbsen und Bohnen und Tomaten, selbst angebaute Kartoffeln, Schweinefleisch vom Vortag und allerlei, was im Eintopf verkocht die rechte Würze gibt. Auf dem Tisch steht die Paprikapaste von Nachbar Istvanne, die man schnellt lernt, nur in homöopathischer Dosierung aufzutragen. Esther holt die tiefen Holzteller raus, die sie als eines der wenigen Überbleibsel aus ihrer Schweizer Heimat mitgebracht hat, und wir alle löffeln miteinander unser Mittagsmahl. Die beiden lehnen sich zurück, um von ihrem Leben in der ungarischen Puszta zu erzählen. „Wir haben doch Zeit“, sagt Esther und ist damit mittendrin in der Geschichte, die nur die beiden erzählen können und die von Menschen handelt, die sich nicht mit Träumen zufrieden gegeben haben.

Seit über vier Jahren leben Dominik und Esther auf diesem Fleckchen auf ihrer „Szábadság Tanya“, ihrer Farm der Freiheit. Kein Navi hat das Stückchen Erde am Rande der Sandpiste verzeichnet und nur die Briefträgerin und Nachbarn oder Freunde finden ihr Zuhause ohne Hilfsmittel. „Stimmt nicht“ sagt Esther, „da standen doch mal zwei Briten vor der Tür, die bei uns arbeiten wollten.“ „Ja, das war ein Ding“, antwortet Dominik. „Wie war das noch gleich? Ich glaube, die hatten den Mann der Postbotin getroffen und nach uns gefragt. Der hat dann mit seiner Frau telefoniert und sie hergebracht.“ Kommen Besucher oder freiwillige Helfer auf ihren Hof, so verabredet sich Esther normalerweise vor der Kirche in Csólyospálos mit ihnen. Von dem kaum wahrnehmbaren Dorf entlang der Teerstraße geht es mit dem Auto dann irgendwann scharf links auf eine Sandweg, Weiden und Kiefern rechts und links, ab und an in der Ferne ein Haus. Die Piste fährt man so lange, bis man wieder einmal scharf abbiegt um irgendwann zwischen unseren Pappeln einzubiegt, und die Farm vor sich hat.

Jeder kann ein Haus bauen
Alles, was man hier sieht, haben Dominik und Esther mit ihren Händen gebaut. Im Zelt haben sie gelebt und zwölf Stunden geschuftet, Tag für Tag. Fast zwei Jahre haben sie damit zugebracht, das Fundament zu setzen, Lehmziegel zu formen, sie zu trocknen, Holz zu schneiden, das Haus damit aufzubauen, das Esther gezeichnet und entworfen hat. Über 3.000 Lehmsteine haben sie allein gebraucht, bis das Haus stand. Heute sagen sie, es war eine tolle Zeit damals. Zu spüren, wieviel Energie sie hatten und was diese Energie alles aus ihnen hervorbrachte.

„Und es war extrem lehrreich, mit wie wenig man glücklich sein kann.”

Im Nachhinein urteilen beide: „Jeder kann ein Haus bauen”. „Stimmt nicht”, sagt Dominik, „das sage ich nicht erst jetzt, das habe ich schon immer gesagt.”

Je weniger ich habe, desto freier fühle ich mich
Klein sollte das Haus der beiden Schweizer sein, bescheiden, von allem wenig, bewusst wenig. Heute steht dort, wo vorher Gras wuchs, ihr Zuhause: Ein kleines Holzhaus, von innen nicht unähnlich einer kleinen Hütte in den Schweizer Bergen. Ein Wohn- und Essraum mit einem selbst gebauten Lehmofen, auf dem im Winter gekocht wird und der das ganze Haus wärmt. Ein großer Holztisch mit der obligatorischen Eckbank, die Esthers Papa selbst getischlert zum neuen Zuhause beigesteurt hat. Ein kleiner Schlafraum, ein Zimmerchen für Elia, das meist für die zahlreichen Volunteers genutzt wird, die als Helfer vorbeischauen und mal kürzer und mal länger bleiben, ein Bad. Das war’s. Bescheiden soll es sein. „Mir ist es fast noch zu groß. Je weniger ich habe, desto freier fühle ich mich”, sagt Dominik.

Ein Haus voller Taten
Weniger haben, mehr sein, das war wohl der Grund, warum die beiden sich aus ihrer Schweizer Heimat verabschiedet haben. Aus der kleinen Stadtwohnung, ihren Jobs als Kaufmann und Bauzeichnerin, von den Pfadfindern, bei denen sie Gruppen geleitet haben, von ihrer Familie und ihren Freunden. Frei sein, so leben dürfen, wie sie leben wollen – als Familie, in der Natur, mit Zeit für das, was ihnen wichtig ist. Sie wollten kein Leben für die anderen führen, sagen sie heute. Sie wollten Kinder und diese Kinder aufwachsen sehen. Sie wollten ihr eigenes Essen anbauen und lernen, auf und mit dem Land zu leben. Der Ort spielte für dieses Vorhaben nur eine unteregordnete Rolle. Sie suchten einen Platz, den sie bezahlen und er ihnen möglichst viele Freiheiten bieten würde. Die Puszta kam dann eher als Zufall und klang schon nach dem ersten Besuch verheißungsvoll. Kilometer um Kilometer flaches, fast menschenleeres Land, das die Ungarn zu beinahe symbolischen Preisen verkaufen, weil niemand mehr derart abgeschieden leben will. „Was wollt ihr bloß hier”, fragten sie ihre ungarischen Nachbarn, als sie vor viereinhab Jahren hierher zogen? In diesem öden, leeren Land, das aussieht wie der Mond? Sie wundern sich immer noch über all die Schweizer, Österreicher, Belgier, Deutsche oder Engländer, die diese Weite zu ihrer Heimat machen. Jetzt kommen auch wieder Ungarn, die das geräuschvolle Stadtleben gegen die Stille eintauschen. Ein bunter Mix aus Ökobauern, Imkern, Pferdezüchtern, Käsemachern, Künstlern, Campanbietern, Freilernern und Freigeistern sitzt so regelmäßig auch auf improvisierten Sitzmöglichkeiten auch auf der Terrasse der Szábadság Tanya. Es wird gut gegessen und vieles von dem, was auf dem Tisch steht, ist selbst geernet. Es wird philosophiert, gealbert, sich kennegelernt über das geredet, was zu tun ist.

Der BVB-Fan leidet mit
Hört ihr die Technomusik im Hintergrund? Aus ist’s mit der Stille. Dominik und Paul bauen ihren Tisch und geben dem Holz mit der Flamme eines Bunsenbrenners den ungarischen Look. Das geht scheint’s nicht ohne Partymusik. „Paul, ich brauch Dich”, ruft Dominik, wenn der mal kurz zu mir rüber schlendert. Und „Dominik, jetzt ölen?” ruft Paul, wenn er gerade nicht weiter weiß. Auch alle anderen beschäftigen sich rund um Haus und Garten. Es ist November und es wird immernoch eingekocht, Quitten zu Mus verarbeitet oder zu Gelee verkocht. Nachbarn bringen Birnen vorbei, und Esther macht ein Kompott daraus. Innerhalb der letzten Tage schaffen es alle gemeinsam, die Hügelbeete zu umzäunen. Fannie bringt noch ein paar Bäume in die Erde: Walnussbäume und Akazien, Maulbeer- und Pfirsichbäume. Alles, was den Boden bedeckt und zukünftig Ernte bringen wird, ist gut. Im Winter, wenn es draußen bis minus 20 Grad werden kann, kommt die Zeit zum Chillen, wie Dominik sagt. Dann wird gegessen und Bücher gelesen, ein Film aus dem Internet geschaut und die Fußballbundesliga noch intensiver analysiert als sonst. Dominik leidet mit dem BVB, fast 1.500 Kilometer entfernt auf seiner Farm, und hat jede Menge Strategien in petto, wie er dem Verein wieder zu Siegtoren verhelfen würde. Mit dem Frühjahr startet das Gartenjahr so richtig, es wird gesät und bepflanzt, gewässert und ausprobiert, was in dem kargen Boden wächst und was nicht. Im Sommer, bei oft 40 Grad und brütender Sonne, graben sie sich ein Loch und baden, denn an arbeiten ist nicht mehr zu denken.

Wir haben halt gelernt
Dominik und Esther hatten keinerkei Erfahrungen mit Landwirtschaft, als sie in die Puszta zogen. „Wir haben es halt gelernt”, sagen sie heute. Anregungen im Internet, Tipps von Freunden, Bücher, die ihnen halfen und immer wieder: Ausprobieren. „Wir versuchen auf die Natur zu schauen. Warum säen sich an bestimmten Stellen Akazien aus, die ganz von selbst wachsen und warum wachsen die nicht an, die ich an anderer Stelle setze?”, sagt Dominik.

Noch lebt die kleine Familie von Einnahmen aus der Schweiz. Es ist schwer, sich in der Puszta wirtschaftlich völlig unabhängig zu machen. Das Grundeinkommen der Menschen hier ist gering, die meisten leben von wenigen hundert Euro pro Monat. Die Nachbarn haben mehr oder weniger kleine Grundstücke, auf denen sie leben, wie wir es von Deutschland seit über 70 Jahren nicht mehr kennen – der Garten am Haus, Hühner, Enten, Gänse, die über den Grund laufen, ein paar Ziegen, die Milch geben, ein Stück Wald, das die Kasse aufbessert. Neben der Landwirtschaft, die einmal so ausgebaut sein soll, dass sie die Familie ernährt, betreiben die beiden eine durchgehend geöffnete Pension – bloß ohne Einnahmen daraus zu generieren. Gegen Kost und Logios spülen die Internetplattformen „Woof” und „Workaway” das ganze Jahr hindurch freiwillige Helfer aus aller Welt auf ihre kleine Farm. Jeder darf kommen, unabhängig von den Fähigkeiten, die der Einzelne mitbringt. Jeder darf seine Talente einbringen, denn nur, was man gerne mache, darin sei man schließlich auch erfolgreich, so die Philosophie der beiden Schweizer.

Improvisieren ist unser Alltag
Gerade jetzt beherbergen die beiden uns, eine fünfköpfige Familie mit Hund, und Vicky, eine Chinesin, die in Budapest studiert und den Fittichen ihrer Eltern entkommen will. „Ach ja”, sagt Dominik zu Esther, „heute kommen noch zwei Engländerinnen, die hatte ich fast vergessen.” Obwohl der Tisch zu klein und die Herdplatte plötzlich kaputt gegangen ist, zaubert der Gastgeber ein Abendessen für nun elf Personen herbei. „Wir machen Langos, ein ungarisches Nationalgericht, das geht in der Fritteuse, dazu Salat, Käse, Wurst. Einen selbst angesetzten Combucha-Tee als Getränk dazu. Fertig. „Improvisieren gehört zu unserem Alltag”, erklärt Esther, warum sie mitten in dem internationalen Trubel im so ruhig bleibt. Niemand wird hektisch, Esther sitzt mit Elia am Tisch und liest, Dominik raucht eine Zigarette. Dann zaubern plötzlich alle gemeinsam und es steht ein Abendmahl für alle auf dem Tisch.

Ohne die Helfer aus aller Welt wäre die ganze Arbeit auf der Farm nicht zu bewätigen. Es gibt kaum Maschinen, keinen Traktor, keine schweren Geräte. Was hier aus der Erde kommt, ist „handmade” und kommt ohne Rückstände aus Kunstdüngern oder Pestiziden auf den Tisch.

Ein Leben ohne Schule für Elia
Dominik und Esther leben das Leben, das sie führen wollen. Einfach, in der Natur, in inniger Verbundenheit mit ihrem Kind und umgeben von Menschen aus aller Welt. Sie haben Pläne, wie sie diesen Flecken weiter entwickeln werden. Dominik will noch Land dazu kaufen und Akazien pflanzen, die als Brenn- und Bauholz verkauft werden können, Esther schwebt vor, ihre Existenz auf ein weiteres Standbein zu stellen, indem sie Kinderfreizeiten oder Freilernetreffen organisiert. Auch Elia würde davon profitieren, denn der heute zweieinhalb Jährige wird keine Schule besuchen und von der Gemeinschaft auf dem Hof erzogen werden. Er wird lernen, was er zum Leben braucht, seine Talente entdecken und in irgend einer Sache richtig gut werden, so die Herangehensweise der Eltern. Dazu brauche es keine Schule. Das Netz und die internationale Community um ihn herum werde ihn entdecken lassen, was er aus seinem Leben machen will.

„Wir konnten damals gar nicht scheitern”, sagen die beiden im Nachhinein über ihren Neustart in Ungarn. „Aber wir hatten natürlich trotzdem erst mal Angst davor”, sagt Dominik. In Luft aufgelöst hatte sich die Angst, sobald sie mit ihrem Kleinwagen voller allerlei in der Puszta gelandet waren. „Es war uns schnell klar, dass wir nichts verlieren können und uns jede kleine Erfahrung weiter bringt”.

Gibt es eine Messlatte für Glück? Einen Gradmesser für Zufriedenheit? Ein Koordinatensystem für’s Menschsein? Wahrscheinlich nicht. Aber die Pappeln werden weiter ihre Blätter im Wind bewegen und sie werden davon zeugen, dass hier Menschen leben, die ihr Glück in die Hände genommen haben und die ein Stück Land formen und leben, wie sie es für richtig halten.

 

Dominik und Esther freuen sich über Besucht. Ihr könnt auch in den Ferien bei den beiden vorbeischauen und mit Euren Kindern auf der Farm wohnen und arbeiten. Erwartet keinen Luxus, dafür aber regelmäßig Mahlzeiten, für die allein es sich zu kommen lohnt. Aber es wird noch mehr geboten: Arbeiten auf dem Land, Stille, die Ihr nicht gewohnt seid, internationale Gäste, die ihr danach bestimmt auch besuchen wollt. Allein das Wegfahren wird Euch schwerfallen.

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Hier gibt’s ein paar Eindrücke im Bild

Impressionen aus der Drohnenperspektive