Losfahren erweist sich immer wieder als keine ganz leichte Übung. Der Abschied von Dominik, Esther und Eliah in der Puszta ist uns wieder einmal nicht leicht gefallen. Doch die freudige Aufregung unter der Haut zieht dann doch nach vorn. Wohin wird der Weg uns führen? Wo werden wir schlafen? Und ganz hinten im Hinterkopf macht sich immernoch ein Quentchen Angst bemerkbar: Wird alles gut gehen? Es ist tatsächlich ein etwas gemischtes Gefühl gewesen, nach fast drei Wochen von der „Farm der Freiheit“ wieder auf die Straße zu rollen, das Navi zu starten, um wieder neue Wege einzuschlagen. Jo, es ging wieder los, wir waren auf Tour.

Wir reisen ein wenig unorthodox. Das Navi auf „Autobahn vermeiden“ und geben irgend ein Ziel ein, das in unserer Richtung liegt (ihr erinnert Euch, Livs Lieblingsland heißt Südosten) als Ziel Podgorica ein. Zuvor hatten wir bei Google Earth nachgeschaut, welche Strecke uns nach Athen vorgeschlagen würde Podgorica lag auf der Route und klang irgendwie sympathisch. Seither haben wir vier Grenzen überwunden und einen wilden Ritt über den Balkan hingelegt. Gerade jetzt liegen wir alle in einem gemütlichen Zimmer bei der ehemaligen stellvertretenden Bürgermeisterin von Ulcinj, Montenegro. Doch langsam.

Am Abend der Abfahrt landen wir in Dakovo in Kroatien und haben bis dahin die ersten Grenzen unserer Reise überwunden. Wir diskutieren über Orbans wehrhaften Zaun zur serbischen Grenze, den wir bislang nur aus dem Fernsehen kannten. Und passieren dann die Grenze nach Kroatien. Für die Kinder sind das die ersten Grenzerfahrungen, nachdem wir die gesamte Strecke bis Serbien durch die EU gefahren waren. Ich muss sagen, ich hasse Grenzen. Und ich liebe die EU allein schon dafür, dass sie uns diese Tortur auf Reisen erspart. Die uniformierten Grenzer geben einem irgendwie immer das Gefühl, irgend etwas Illegales zu tun und nur durch die Gnade des Gegenübers ins nächste Land herüber zu dürfen. Dabei haben wir weder Drogen im Gepäck noch schmuggeln wir Zigaretten. Selbst Charlie hat die Reise mit ordnungsgemäßen Papieren EU-Papieren angetreten. „Was wollen Sie denn in Serbien?“ „Äh, Transit.“ Wir sind auf dem Weg nach Griechenland.“ „Jetzt?“ „Ja, warum nicht.“ „Sind das Ihre Kinder?“ „Ja“. „Ok, durchfahren.“ Wer soll diese Konversationen verstehen? Das ist doch total surreal – vor allem mitten im Nirgendwo an irgendeiner Grenzbude.

In Dakovo also als erster Station nach unserem Aufbrauch schlafen wir im Bus. Unseren Schlafplatz finden wir nun schon zum zweiten mal mit Hilfe meines zuhause gebliebenen Scouts Uli. Ihn rufen wir kurzfristig an, wenn wir wissen, wo wir landen werden. Und Uli ist dann unser Mann mit Internet. Er gibt uns eine anlaufstation durch, nennt uns ein Cafe mit Wifi oder schaut sich die Umgebung auf potenzielle Stellplätz an.

Um fünf Uhr morgens wache ich auf. Doch entgegen all der Nächte zu Hause, die ich in den letzten Monaten vor unserer Abreise vor lauter Sorgen wachgelegen habe, merke ich, dass ich vor Vorfreude auf den kommenden Tag kein Auge zumachen kann. Welch eine Wandlung. Da liegt man doch fast gerne wach und lauscht dem Atmen der Kinder. Als Liv erwacht, hat sie scheint’s ein ganz ähnliches Gefühl, kann es nur noch besser ausdrücken. Sie sagte:

„Mama, ich zittere vor Freude.“

Nachdem wir also vor Freude zitternd losgefahren sind, kommen wir irgendwann in die Bosnische Grenze, wo wir das erste Mal länger aufgehalten werden, weil wir die grüne Versicherungskarte nicht dabei haben. Während Andi sich ein Ersatzdokument ausstellen lässt, bitten ihn die Grenzer, ihnen das Faxgerät zu erklären, das da mit deutscher Sprache bedruckt unbenutzt rumsteht. Ob sie es jetzt nach Andis Instruktionen in Gang gesetzt haben – keine Ahnung.

Behausungen in allen Graden der Zerstörung
Bosnien erstickt dann tatsächlich kurzfristig unsere Reiselust mit seiner Tristesse. Dieses vom Krieg zerstörte Land an einem regnerischen Wintertag zu durchqueren, war wahrscheinlich das Trostloseste, was ich seit langem gesehen habe. Gebäude in allen Graden der Verwüstung, Ruinen, durchlöchert, komplett oder teils zerstört, nicht wieder aufgerichtet, verlassen oder sogar bewohnt, mit dem Bau begonnen und nur das Skelett stehen gelassen. Die Dörfer so arm, Müll überall. Die Kinder waren auf der Rückbank teils ganz still. Fannie hat geschlafen und ihre Außenwelt weggeknipst. Paul sagte in Sarajevo, dass ihm die Einschusslöcher in den Fassaden Angst machen. Der Krieg, den wir alle nur aus dem Fernsehen kannten, der so weit weg war, der uns nichts anging, ist immer noch spürbar. „Balkan, halt, was erwartet ihr“, sagt uns ein Freund am Telefon.

Fannie und Liv versetzen den Bus dann kurzzeitig mit Winter- und Weihnachtsliedern in eine heimelige Stimmung, weil sie den Schnee besingen, der draußen zu Andi und meinem Schrecken immer weiter wächst. Schneekettenzeichen am Rand, die Straßen zwar noch frei, aber wir wissen nicht, was noch vor uns liegt. Ohne gutes topographisches Kartenwerk sollte man keine Reise beginnen. Ehrlich jetzt, wir brauchen gute alte Karten. Das Navi kennt vielleicht die Strecke, aber keinesfalls den Weg. Hab ich nicht mal Geographie studiert? Ich denke, wenn wir ein paar Tage später aus Ungarn aufgebrochen wären, hätten wir ernsthaft Schwierigkeiten bekommen, durch die Gebirge durchzukommen.

Mitten im Schnee erleben wir dann auch noch die erste Episode aus dem Genre Polizeiwillkür. Ein uniformierter Polizist winkt uns raus, wie vor uns schon ein polnisches Fahrzeug. Schell sind wir zwanzig Euro los, weil wir angeblich zu schnell gefahren sind. Immerhin haben wir ihn von 200 auf jene 20 Euro runtergehandelt, ärgern uns aber noch Stunden später bei der Vorstellung, dass dieser korrupte Arsch abends auf der Couch liegt und unsere Kohle in seinen Sparstrumpf stopft, um mit dem Geld der ganzen abgezockten EU-Durchreisenden seinen gerade bestellten BMW X5 in Cash zu bezahlen. Balkan halt.

Spät nachts kommen wir in Montenegro am Meer an. Von Europas tiefste Schlucht, der Tara-Schlucht, haben wir so gut wie nichts mitbekommen. Die müssen wir im Frühjahr nächsten Jahres unbedingt besuchen! Aber immerhin, wir sind am Meer, Montenegro. Mal sehen, was passiert. Balkan halt!

Wenn Ihr ein paar deprimierende Balkanimpressionen wollt, hier habt Ihr sie. Wir hätten noch mehr davon, aber es ist mir zu frustrierend, sie online zu stellen.