Von Köln in den Westerwald. Die erste Etappe unseres Projekts entpuppt sich als Ruckelpiste ins Ich. Hier die letzten drei Wochen im Schnelldurchlauf! Mit Erkenntnisgewinnen als Bonusmaterial.
Kann mir einmal jemand verraten, warum einem die ganzen elenden Fragen nach dem Sinn des Lebens durch den Kopf schießen, wenn man endlich mal Zeit hat? Warum einem das ganze Ich vor die Füße fällt, wenn man sich mal auf die Couch setzt und eigentlich nach Freiheit giert? Wenn man sich nach Wochen des Dauerstresses Erholung sucht? Kann mir mal jemand verraten, warum einen die ganze Überforderung heimsucht, wenn man nur noch die Familie und keinen wirklichen Zeitdruck um sich hat? Warum kann man sich nicht mitten an einem normalen acht-Stunden-Tag am Schreibtisch mit sich selbst herumquälen? Oder nach einem stressigen Recherchetermin und einem Ritt über die völlig verrückten deutschen Autobahnen? An einem ganz normalen Arbeitstag.
Aber irgendwie war es ja auch klar, dass die Vollbremsung, die wir eingeleitet haben, nicht ruckelfrei vonstatten gehen würde. Arbeiten bis zum Abwinken, Haus leerräumen, das alte Leben abwickeln – und plötzlich Stillstand. Mit der Erkenntnis – das Leben lässt sich nicht abwickeln. Ich muss es weiter mit mir aushalten und mit allem, was mich in meinen Nächten heimsucht. Mit meinen Ängsten und Unzulänglichkeiten, mit meinen Wünschen und Sehnsüchten, mit dem ganzen Krampf.
Und hier, in diesen letzten drei Wochen im hintersten Winkel im Westerwald – um uns rum nichts als Ruhe (und Rasenmäher in allen erdenklichen Variationen: Benziner, Sitz- und Rasen mähende Roboter), die die Stille ab und an durchbrechen – muss meine Reise mit einer Art Ausbruch beginnen. Jetzt fühle ich mich, als hätte ich eine Flasche Wein gegen die Wand geschmettert und säße nun davor, um die Scherben wieder einzusammeln und zusammenzuflicken. Dabei untersuche ich, wo welches Puzzleteil hingehört und schaue erstaunt auf das Etikett, welchen Wein ich denn da ins Nirvana befördert habe.
Doch so ganz langsam setze ich die Bruchteile wieder zusammen. Es gibt Schrammen und Nahtstellen, aber es wächst etwas Neues daraus hervor.
Ruhe? In mir leider nicht
Doch langsam. Nachdem ich am ersten Tag nach unserer Ankunft im Westerwald noch ein Foto bei Facebook gepostet habe, auf dem ich selbst verschlafen mit einem vierblättrigen Kleeblatt zu sehen war, ist irgendwie alles über mir zusammengebrochen. Ich war ruhe- und rastlos, unerträglich für meine Umgebung – selbst Liv hat irgendwann gesagt, „Mama, warum bist du immer so schlecht gelaunt?“ Und Paul hat geantwortet: „Siehst Du, Mama, jetzt erkennt es selbst die Kleinste“. Und Fannie hat sich ohnehin längst Andi ausgesucht. „Papa, ich hab Dich lieb“, erscheint mit Kinderhänden geschrieben auf der Heckscheibe des alten Volvo, wenn die Sonne auf die Regentropfen fällt.
Meine Erkenntnisse aus diesen drei Wochen des inneren Aufruhrs:
Ich schleppe jede Menge Themen mit mir rum.
1. Ich bin ruhelos. Ich suche. Nach meinem Platz in der Welt. Nach meiner Bestimmung. Jetzt, da der erste Schritt getan ist, das Haus und Köln verlassen, dachte ich, die Erkenntnisse würden sich mir quasi aufdrängen. Aus mir sprudeln. Doch in mir war erst einmal ein tiefes Nichts. Bodenlos. Ich laufe und komme nicht an, ich suche und finde nicht. Und akzeptiere die kleinen Schritte nicht. Ich kann die Sonne nicht sehen, obwohl sie über mir scheint, das Rauschen des Flusses nicht wahrnehmen, obwohl die Nister neben mir dahinfließt.
2. Meine Themen begleiten mich. Unfertige Aufträge, Texte, die nicht geschrieben, Filme, die nicht gedreht, Gedanken, die nicht zu Ende gedacht sind. Was mich belastet und unter Druck setzt. Selbst der Blog, der mir eigentlich meine ganz persönliche Spielwiese sein sollte, war plötzlich Ballast. Was habe ich mir da aufgehalst? Ich dachte, ich muss liefern, von Abenteuern und aufregenden Momenten berichten, Erwartungen erfüllen. Selbst das Blog war plötzlich „Muss“ und nicht mehr „Kann“.
3. Ich verheddere mich. Ich will alles und am liebsten jetzt. Was sich dann darin äußert, dass ich nichts wirklich richtig mache. Mal eben noch dies, und dann noch jenes. Und zwischendurch im Handy checken (wenn denn mal Empfang ist), wie das Wetter wird, die Nachrichtenlage scannen, Whatsapps schicken, sich Sorgen um Nord-Korea machen und stirnrunzelnd Trump-Tweets inhalieren.
Alles ist gut
Gerade sitze ich unter dem Sonnenschirm vor unserem Haus. Es ist ein Fachwerkhaus. Es ist Samstag. Ein noch früher Morgen. Die Sonne steht eben so hoch, dass sich nicht mehr der Tau der Nacht im Rasen spiegelt. Alles um mich herum ist unprätentiös. Die alte Dorfschule vor mir weiß verputzt und mit dunkelbraunen 80er-Jahre Kunststoff-Fenstern verunstaltet. Eine Tuja-Hecke und ein Plexiglas-Anbau mit aufgeklebten Möwen. Direkt vor mir ein alter Tisch, in Köln wäre er auf dem Sperrmüll gelandet. Unfertige, unebene Betonplatten, die noch aus Tante Theklas Zeiten stammen unter mir. Und doch ist alles schön. Schaue ich nach links, sehe ich ein schön saniertes Bauernhaus hinter unserem verwilderten Garten. Am rechten Ohr höre ich die Nister rauschen, die nach Tagen des Dauerregens angeschwollen ist. Eine kleine Holzleiter lehnt am der Esche vor unserem Haus. Nichts ist perfekt und doch alles gut. Ich erinnere mich an die Tränen der Rührung, die Andi vergossen hat, als wir seinen Geburtstag mit einem Lied begonnen haben. Als Fannie Klavier gespielt hat, und wir ihm nacheinander einen Regenbogen, eine weiße Wolke, einen Kieselstein, einen Luftballon, ein Kuchenherz geschenkt haben. Als er seine Geschenke gefunden hat, das Lied von Fannie, die Bilder von Liv, der selbst gezimmerte Briefkasten von Paul. ich erinnere mich an die Kinder, wie sie gemeinsam mit Kindern von Freunden nach der Sauna fast nackisch und vor Freude tobend durch die Nister gelatscht sind und mit Riesen-Schritten im strömenden Regen durch die Liv-hohe Wiese gelaufen sind.
Wo waren nur all diese Bilder und Betrachtungen die ganze Zeit? Sie waren in mir, doch ich habe sie nicht zugelassen, nicht heraufkommen lassen.
Ich habe nur noch das Wohnmobil vor mir gesehen, dass auseinandergenommen in irgend einer Werkstatt in Köln daraus wartet, dass nun das hoffentlich letzte Ersatzteil – ein nicht ganz unwichtiges Detail in Form eines Getriebeteils, das in diesem Fall aus England – ankommt und eingebaut wird. Ich habe den Verkäufer innerlich vermöbelt, der ein glänzendes TÜV-Siegel auf die Schrottlaube geklebt und uns damit billig hinter’s Licht geführt hat. Ich habe nur noch die Kosten der Reparaturen vor Augen gehabt, die unsere Reise sehr einschränken werden. Dazu die Kinder, das nicht enden wollende Organisieren, Machen, Aufräumen, Kochen. Der Alltag, der uns auch hier nicht einfach mal in Ruhe lässt. Meine Mutter, die gerade in den letzten Monaten etwas abbaut und die Sorge, dass ich sie bald nicht mehr bei ihren Arztbesuchen begleiten kann (dafür aber die Freude, dass eine gute Freundin diese Aufgabe erfüllen wird) Andis Eltern, die alt sind. All die Dinge, die kurz vor unserer Abfahrt noch kaputt gegangen sind. Die Toilettenspülung im vermieteten Haus, die immer noch nicht funktioniert. Die Vespa, die Benzin verliert. Und. Und. Und. Überforderung an allen Fronten.
Es war eine unsanfte Landung. In der ich an vielem gezweifelt habe. Nie aber am „Wir“ und am „Uns“.
Einige Erkenntnisse der ersten Wochen:
- Alles, die ganze Reise, wird in unserem Kopf stattfinden. Die Schönheit des Betrachtens liegt in mir.
- Ich werde mich selber nicht loswerden. Und muss mit dem, was ich entdecke, auskommen. Wir zwei sind aneinander geschweißt.
- Es gibt nur die Erwartungen, die ich an mich selbst stelle. Und die muss ich den Gegebenheiten anpassen und nicht die Umwelt an meine Erwartungen.
- Ich muss mir die Zeit nehmen, für das, was mir wichtig ist.
- Und, ganz wichtig: Das Handy wird nur noch zu fest gelegten Zeiten bemüht!
„Ich verheddere mich.[ … ] Mal eben noch dies, und dann noch jenes…“
Das Gefühl kenn ich, und dazu gefiel mir ein Gernhard-Gedicht sehr, ich häng´s hier mal an.
„Mein Körper rät mir:
Ruh dich aus.
Ich sage: Mach ich altes Haus.
Denk aber: ach der merkts ja nicht
Und schreibe heimlich dies Gedicht.
Da sagt mein Körper: Na, na, na …
Mein guter Freund, was tun wir da?
Och, gar nichts, sag ich aufgeschreckt.
Und denk, wie hat der das entdeckt?
Die Frage scheint recht schlicht zu sein,
Doch ihre Schlichtheit ist nur Schein.
Sie lässt mir seither keine Ruh,
Wie weiß mein Körper, was ich tu?“