„Der Herr segne unsere Gäste, die er uns vorbeigeschickt hat. Er segne unser Essen und unseren Tag und beschütze uns in diesen Zeiten“. Istvanne hält die Hände zum Gebet gefaltet und die Augen gesenkt, neben ihm seine Frau Andrea. Mit an dem gedeckten Tisch in der Wohnstube des kleinen Hofs sitzen Paul und ich. Dabei sind wir einfach unangemeldet vorbeigekommen. Eine kleine Episode über Gastfreundschaft.
Paul und ich wandern über die sandigen Wege von der Farm von Dominik und Esther herüber zu Istvannes Farm. Tappi, der Hofhund von Dominik und Esther, begleitet uns. Sie springt durch den Wald, läuft vor, schaut zurück, prüft, ob wir den richtigen Pfad eingeschlagen haben. Ab und an wittert sie ein Reh und springt mit viel zu großen Sprüngen davon, um rasch wieder einzusehen, dass sie keine Chance hat, eines zu erwischen. Die Rehe stehen in Gruppen nahe der Fußpfade, die hier als Straße benutzt werden, um den Weg von einer Farm zur anderen abzukürzen. Als Paul und ich näher kommen, früh am morgen um halb acht, schauen sie kurz auf und springen über den Weg davon. Auch später, als wir den Wald durchquert haben, stehen Gruppen von Rehen getarnt in den Feldern aus verwildertem Tabak und schauen uns an, bevor sie ihrer Wege springen. So viel Wild auf einem Fleck haben wir noch nie gesehen.
Kurze Zeit später, wir sind dem sandigen Pfad rund um die herbstlichen Felder gefolgt, stehen wir vor den Toren der kleinen Farm. Die Hunde bellen aus vollen Kehlen, sie springen am Holzzaun hoch. Aber ich ziehe ungerührt an dem hölzernen Klöppel, den Paul direkt als Klingel erkannt hat. Er ist mit einer Schnur ins Haus verbunden und tatsächlich, es läutet. Paul und ich treten ein wenig von einem Bein auf’s andere, weil wir hier am frühen Morgen so unangemeldet vor der Tür von jemandem stehen, den wir erst einmal im Leben kurz gesehen haben.
Istvanne hatte Dominik angerufen, um ihm zu sagen, er wolle eine Ente für uns kochen. Wir sollen mit der ganzen Mannschaft, die gerade auf dem Hof der beiden Schweizer versammelt ist, um elf Uhr vorbeischauen, denn dann hätte er eine Ente für uns geschlachtet. Da ich das letzte Mal vor vielen Jahren gesehen habe, wie ein Tier für mich geschlachtet wird, beschließe ich morgens um 7 Uhr, dass ich mit der Kamera das ganze Vorspiel unseres Festmahls dokumentieren werde. Paul sagt sofort, er wolle mit dabei sein. Und ich freue mich natürlich darüber, ich weiß nämlich noch nicht mal, ob ich die Farm wiederfinde, die wir am Vortag über Ruckelpisten rollend kurz besucht hatten.
Istvanne macht uns auf und sperrt die Hofhunde ein, damit sie endlich Ruhe geben. Sollte er überrascht über den früh morgendlichen Besuch sein, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Kommt einfach mit, ich wollte jetzt eh die Tiere füttern.“ Enten und Hühner, Perlhühner und Zwerghühner, ein paar Gänse, sie alle preschen nach draußen, sobald Istvanne die Tür von ihrem Verschlag öffnet. Und so kommt es, dass wir wenig später zusehen, wie er sein Federvieh füttert, seine Tauben streichelt, der ganzen hellwach gackernden Truppe den Wasserhahn aufdreht und den Tauben noch eine Streicheleinheit gibt. „Welche Ente denn wohl heute ihr Leben lassen solle“, fragen wir. Istvanne erklärt, dass die Ente bereits aus dem Tiefkühler heraus und in der Küche von Andrea zubereitet werde. Mit der Dokumentation der Schlachtung wird es also nichts, und Paul und ich sind irgendwie gar nicht traurig darüber, so munter wie die alle da rumtappern.
Stattdessen führt uns Istvanne zu den vier Ziegen, die er mit der Hand melkt und dann auf die Weide führt.
Jetzt sitzen wir in der Wohnstube der Beiden. Der Raum wird gefüllt von einem Lehmkamin, der bis zur Decke reicht. Auf der gemütlichen Sitzfläche trocknen Waldbeeren und Hagebutten. Quittenmus steht zum Einkochen bereit in Schüsseln daneben. Auf der Wachstischdecke des kleinen Tischs haben die beiden aufgefahren, was sie zum Frühstück essen: Salami und Schafskäse, Paprika, Ziegenfrischkäse, Eier, Honig, zweierlei Sorten Brot. Das meiste, was auf dem Tisch steht, ist selbst gemacht. Istvanne faltet die Hände und betet:
„Der Herr segne unsere Gäste, die er uns vorbeigeschickt hat. Er segne unser Essen und unseren Tag und beschütze uns in diesen Zeiten.Amen.“
Beim Frühstück erzählt er, dass er gemeinsam mit Andrea ein paar Jahre in England gelebt hat und dort als Altenpfleger gearbeitet hat, dass er aus der ungarischen Minderheit in Transsilvanien stammt und vor zwanzig Jahren hierher gekommen ist. Andrea hat Theologie studiert und hat ein paar Jahre als Lehrerin gearbeitet, bis sie sich entschieden haben, ein einfacheres Leben zu führen. Sie haben hier alles, was sie bräuchten, sagt Andrea, gutes Essen, saubere Luft, keine Umweltverschmutzung, Stille. Ein festes Einkommen, das Geld einbringt, scheint es nicht zu geben. Es wird ein bisschen Holz verkauft, ein paar Eier, Gemüse – aber die beiden haben keine Lizenz, um auf dem Markt zu verkaufen und die Nachbarn haben eh alles selbst. Istvanne hat am Vortag junge Bäume in Rumänien gekauft und will sie am nächsten Tag für einen Nachbarn einpflanzen – das dürfte die Kasse wieder ein wenig aufbessern.
Paul sagt später, das sei der leckerste Honig gewesen, den er je gegessen habe. Ich bin einfach platt von der Gastfreundlichkeit der Beiden, von der Ruhe, die sie ausstrahlen, von der Selbstverständlichkeit, mit der wir aufgenommen worden sind. Ich wundere mich über die Einfachheit, in der die Menschen hier leben, die Bescheidenheit und Dankbarkeit, mit der sie ihr Leben annehmen.
Später am Nachmittag, nachdem wir Istvanne noch geholfen haben, eine Akazie kleinzumachen und vom Weg zu räumen, die der Sturm am Vortag gefällt hat, sitzen wir alle zusammen am Tisch und lassen uns die Ente schmecken.