Als Zenepa Lika sich schließlich eine Luky Strike anzündet und in die Augen meiner Kinder blickt, liegt vor uns auf dem Tisch ein ganzer Kontinent. Liegt die EU. Liegt unsere Reise durch Europa und leuchtet Likas Kampf für ein neues Montenegro.

Der Text ist in einer redigierten Version bei Perspectice Dayly erschienen. Dort mit Klappern und Hintergrundinfos zu Land und Leuten! Schaut Euch die Seite für konstruktiven Journalismus dringend einmal an, wenn Ihr sie nicht kennt.

Es ist ein Wiedersehen. Zwischen dem „Plaza“ Restaurant an der Strandpromenade in Ulcinj und dem Whistle-Stop-Café in Köln, wo wir einst gemeinsam als Studentinen kellnerten, liegen 20 Jahre. Heute kämpft Zenepa Lika in Montenegro für den Erhalt eines einzigartigen Biotops und bereitet sich darauf vor, mit der Bürgerbewegung URA in den Stadtrat der 20.000 Einwohner-Stadt einzuziehen. Sie kämpft für ein neues Montenegro. Ein Montenegro, das auf seine einzigartigen Naturschätze achtet und in dem Gesetze das Maß der Dinge sind, und nicht Geld und Einfluss.

Wir sind auf Reisen. Mein Mann Andi und ich. Mit unseren Kindern Paul, Fannie und Liv. Eine Familie aus Köln, die gerade erst einen wilden Ritt durch den Balkan hinter sich hat. Die mit ihrem grünen T3 Kilometer um Kilometer über Landstraßen gefahren ist, erst von Deutschland bis nach Ungarn, dann durch Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina bis in die Schweiz des Balkans – nach Montenegro. Wir, das sind Eltern, die dem Irrsinn unserer Zeit die Stirn bieten wollen. Wir haben unser Wohnzimmer gegen einen Bulli eingetauscht, weil die täglichen Bilder uns ruhelos gemacht haben: Menschen auf der Flucht, und Aufwiegler, die Europa auseinander treiben wollen. Was kann man dieser Zeit entgegensetzen?

Zwei Jahrzehnte ist es her, dass ich Zenepa Lika im Whistle-Stop-Café kennengelernt hatte – 20 Jahre und eine Namensänderung. Aus Licovic wurde Lika. Das aus der ersten Volkszählung um 1913 verordnete „vic“ am Ende ihres Namens hat die gesamte in Montenegro lebende Familie wieder abgelegt, nachdem dies im Jahr 2006 durch die Verfassungsrecht wieder erlaubt wurde. Wir treffen eine Frau, die unerbittlich für ihre Überzeugungen eintritt. Eine Frau, die uns in den kommenden Tagen ihr Montenegro zeigen wird. Ihr Europa.

Es war nicht einfach, sie zu finden. Das Internet, das nie vergisst, mag keine Namensänderungen. Doch eine einzige Frage nach Zenepa Ljikovic in einem der wenigen im November geöffneten Restaurants hatte gereicht, um sie kurz darauf ans Telefon zu bekommen und ihr am nächsten Tag im „Plaza“ gegenüberzusitzen. „Ich bin halt in Ulcinj bekannt, eigentlich in ganz Montenegro. Aber wir haben ja im ganzen Land so viele Einwohner wie ihr in Düsseldorf“, lacht die heute 48-jährige Zenepa Lika und ich sehe sie noch genau vor mir, wie wir unsere Gäste im Whistle-Stop-Café mit Caesar Salat und Long Island Isteas bedient haben.

Das Restaurant „Plaza“ liegt an der Promenade der kleinen Küstenstadt und ist einer von Zenepas Lieblingsplätzen in Ulcinj. Hier habe sie draußen Kaffee getrunken, als sie im Jahr 2008 nach über 25 Jahren von Köln nach Montenegro kurz zurückgekehrte, um ihr Albanisch aufzubessern, erzählt Lika. Hier habe sie im Jahr 2010 ihre Mittagspausen verbracht, als sie aus Podgorica zurückkehrte wo sie als Architektin gearbeitet hat, um Ulcinj besser kennenzulernen. Und hier vertiefte sie sich in die Zeitungen, um wieder reinzukommen, in die Politik der Stadt, in der sie vier Jahre später als stellvertretende Bürgermeisterin arbeiten sollte. Fast dreißig Jahre hatte sie mit ihren Eltern in Deutschland gelebt, das typische Gastarbeiterkind, das sich hochgearbeitet und dann studiert hat. Das in Deutschland die „Jugo“ war und in Montenegro wahlweise die „Deutsche“ oder die „Albanerin“.

Hier sitzt sie jetzt mit uns, mit Andi, Paul, Fannie, Liv und mir am Tisch. Wir wollten echte Erlebnisse und lebendige Begegnungen. In einem Europa, das in der Lage ist, Menschen unterschiedlichster Traditionen, Religionen und Lebensweisen in Frieden zu einen. Auf einem Kontinent, in dem Fremdsein seit Jahrtausenden die Regel ist und nicht erst ein Thema, seitdem Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan zu uns zu kommen. Dieses Montenegro, wie wir es hier gerade bei türkischem Kaffee und Pizza erleben, ist ein typisches Beispiel für ein Europa, das sich über die Jahrtausende in Kriegen bekämpfte und schließlich im Frieden zusammengefunden hat. Wir haben uns in Bewegung gesetzt, um unseren Kindern dieses Europa zu zeigen. Einen Kontinent, der schon seit Jahrtausenden in Bewegung ist. Einen Kontinent der Begegnungen.

Zenepa und unsere Kids. Da haben die Kinder lernen können, was politisches Engagement bedeutet.

Nach dem ersten Kaffee stecken wir knietief im politischen Diskurs um den EU-Beitrittskandidaten. In den Jugoslawienkriegen kämpfte das Montenegro an der Seite Serbiens. Erst seit dem Jahr 2006 ist Montenegro ein eigener Staat. Die Bevölkerung setzt sich aus Montenegriner, Bosniaken, Serben, Muslimen, Albanern, Kroaten und Roma zusammen. Das Land hat mit Schmuggel, Menschenhandel und Korruption zu kämpfen – das organisierte Verbrechen gilt heute als eines der größten Hindernisse für einen Eintritt in die EU. „Hier kann immer noch jeder machen, was er will, wenn er das nötige Geld dafür mitbringt“, berichtet Zenepa. „Schaut Euch um, hier ist kein Haus nach einem Bebauungsplan entstanden. Und wenn es einen gegeben hat, so hat sich niemand daran gehalten“, erklärt Lika. Drei Stockwerke seien erlaubt, gebaut würden vier – und mehr.

Bebauungspläne sind Makulatur – es hält sich ohnehin niemand daran
Warum sie nicht wieder als Architektin arbeite, frage ich. „Schau Dich um“, sagt sie. Es werde weder mit der Natur noch in Proportionen gedacht. Keine Nachhaltigkeit, kein Anlehnen an die Erkenntnisse der Alten, die mit ihren dicken Mauern und kleinen Fenstern schon ökologisch und energiesparend gedacht hätten.

Die Goldgräberstimmung nach dem Ende des Balkankrieges zeigt ihr Gesicht hier in Ulcinj, in immer neuen Bauten, die immer mehr Touristen aufnehmen und noch mehr Geld reinspülen sollen in die Hände der Investoren. Kaum ein Haus, das hier die Hänge verschluckt, sei legal gebaut, sagt sie. Bebauungspläne seien entweder nicht vorhanden oder schlicht Makulatur. Das Gesicht des kleinen Ortes wird zugebaut mit Beton. Da habe sie nicht mitmachen wollen.

Ihre Ideale, wohin haben sie sie geführt?

„Ich will Veränderung“, sagt sie, „damit die Generationen nach uns in einem Land leben können, in dem es sich zu leben lohnt“. Für die Zukunft ihres erst im Jahr 2006 eigenständig gewordenen Landes, hatte sie im Jahr 2014 die Position der stellvertretenden Bürgermeisterin angenommen. Damals wollte sie sehen, wie Politik funktioniert, was sie aus dieser Stellung heraus bewirken könne. „Nicht wirklich viel“, so ihr Resümee heute.

Sie eckte an, schrammte sich die Knie auf, lief gegen Wände. Bis sie die hiesige Politik wieder ausgespuckt hat. Zu unbequem, zu gerade heraus, zu wenig biegsam war sie für ihre Kollegen. Nach zwei Jahren im Amt schob man ihr 2016 einen Umschlag unter die Tür ihres Büros. Herauf getreten sei sie, auf ihre Entlassung. „Doch ich komme wieder“, sagt sie hier und heute im Plaza.

Als der Muezzin durch die Gassen zum Gebet ruft, berichtet Zenepa von ihren leidenschaftlich ausgefochtenen Kämpfen für den Naturschutz. „Weißt Du, ich habe Ideale“, erklärt sie, während sie tief an ihrer Lucky zieht. Leidenschaftlich und unbeugsam kämpft Zenepa für den Naturschutz und einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen des kleinen Adria-Anrainerstaates. Und sie kämpft gegen einen politischen Stil, der immer noch auf alten Banden und vielen Handshakes beruht.

Die Moschee an der Promenade.

Gerade bereitet sie sich darauf vor, bei der nächsten Kommunalwahl mit der noch sehr jungen ürgerbewegung URA im Stadtrat zu kandidieren. Und sie ist Vorsitzende der selbst gegründeten Umweltorganisation, die sich für den Erhalt der einzigartigen Salinenlandschaft in Ulcinj einsetzt. Alles, was Zenepa derzeit tut, geschieht ehrenamtlich und aus vollster Überzeugung.

„Ich will Veränderung“, sagt sie, „damit die Generationen nach uns in einem Land leben können, in dem es sich zu leben lohnt“.

Der wirkliche Wert des Landes liegt in der Natur
Statt sich über die Bausünden der Stadt oder ihren Rauswurf aus der Politik zu grämen, sitzt Zenepa der Stadtverwaltung nun mit der von ihr und der ehemaligen deutschen Botschafterin Gudrun Steinacker gegründeten Umweltorganisation „Dr. Martin Schneider-Jacoby Gesellschaft“ im Nacken. Mit ihr setzt sie sich für das ein, was ihrer Meinung nach der einzige wirklich nachhaltige Wert des Landes ist: seine Natur. Als einer der herausragenden Naturschätze der Adriaküste gilt die Salzanlage „Ulcinjska Solana“ östlich von Ulcinj. Für deren Erhalt hatte sich schon der Namensgeber der Naturschutzorganisation Dr. Martin Scheider-Jacoby stark gemacht.

Hier verrosten die ehemaligen Transportwaggons. Bild: Zenepa Lika

Seit 1934 wurde hier Salz abgebaut und so künstlich ein Feuchtgebiet erhalten, das Zugvögeln auf ihrem jährlichen Weg nach Afrika einen der seltenen Rastplätze bot. Die Konstellation aus Feucht- und Trockenphasen hat die Lagune zu eine der wichtigsten Rast-, Brut- und Überwinterungsgebiete für Zugvögel an der östlichen Adriaküste gemacht. In der fast surrealen Landschaft aus Seen und Becken, aus Feuchtgräsern und Schilf leben seltene Greifvögel wie Fischadler, Wespenbussarde, Rötelfalken, Schwarzmilane, Rohrweihen, Schelladler und Wanderfalken.Und nicht zuletzt für Flamingos ist die Saline zur ständigen Heimat geworden.

Doch im Jahr 2005 wurde der ehemalige staatseigene Betrieb privatisiert und der Salzabbau eingestellt. Obwohl die Saline nach der Ramsar-Konvention die international die Schutzwürdigkeit von Feuchtgebieten festlegt, sechs von neun Kriterien und damit internationalen Schutzstandard genießen müsste, verweigert die Regierung in Montenegros Hauptstadt Podgorica der Saline von Ulcinj sogar den nationalen Schutz.“, so Zenepa Lika.

Die Tourismusindustrie steht schon in den Startlöchern. Es existieren Bebauungspläne, die ein Luxusressort unter Palmen vorsehen. Der Kampf um den Erhalt der Saline gleicht dem Kampf von David gegen Goliath, es ist ein Kampf von Nicht-Regierungsorganisationen gegen Landes- und Lokalpolitiker. Doch davon lassen sich Zenepa und ihre Mitstreiter nicht abhalten. Über hundert Mitstreiter aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft hat sie bereits zusammengetrommelt, um den internationalen Status des Schutzgebiets durchzusetzen.

Wie Zenepa auf Rechtsverstöße reagiert
Es ist Sonntag. Zwei Tage nach unserem Kaffee im Plaza. Zenepa ist in der Stadt unterwegs, um die Wahlkampagne ihrer Partei vorzubereiten. Ein Fotoshooting muss in die Wege geleitet werden, ein Antrag auf Fördergelder in die Post. Morgen soll sie einen Termin vor Gericht wahrnehmen. „Ich kann einfach den Mund nicht halten“, erklärt Zenepa, wie es zu der Verhandlung gekommen ist. Wir waren alle Agenzeugen: Eine Bergstraße ist wegen einer Baustelle gesperrt. Die Bauarbeiter stapeln die Vegetation, kippen Benzin drauf und zünden die Berge an Grünzeug an. Zenepa spricht mit den Bauarbeitern, fotografiert, filmt. Die Männer bleiben davon völlig unbeeindruckt – das hier ist Baustelle auf montenegrinisch, sie sind sich keines Unrechts bewusst. Dann wirft ein Mann in der immer länger werdenden Warteschlange zwei Getränkedosen aus dem Auto ins Grün neben der Fahrbahn. Zenepa geht hin, bittet ihn, er möge die Dose wieder aufheben; erklärt, es sei verboten, Müll in die Landschaft zu werfen. Statt der Aufforderung nachzukommen, steigt der Mann aus und geht Zenepa mit wüsten Beschimpfungen an. Er kommt ihr so nahe, dass sie seine Falten auf der Stirn einen Zentimeter vor ihren Augen hat.

Ein Passant nähert sich, versucht zu schlichten. Sofort wird der mit Fäusten attackiert. In all dem Tumult greift Zenepa in aller Ruhe in ihre Manteltasche uns holt ihr Handy heraus. Sie bittet dem Angreifer zu warten, bis die Polizei komme. Der tobt, seine Freunde versuchen ihn zu beruhigen, einer bittet Zenepa, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Beim Versuch, sich mit dem Auto vor der Polizei zu entziehen, stellt sie sich dem VW Golf einfach in den Weg. Mit breiter Schulter, das Handy in der Hand, holt sie ihre Luckys aus der Tasche und zündet sich die Zigarette an. Das Auto hält an, dreht, fährt auf seinen Platz zurück.

Als die Polizei kommt, begrüßen sich der Dosenwerfer und einer der Polizisten per Handschlag. Sie lachen miteinander, man kennt sich. Die Polizisten nehmen den Fall auf und wir fahren alle in die Stadt. Auf der Polizeiwache machen beide Seiten ihre Aussagen. Zwischendurch, wir warten draußen vor unserem T3, kommt der Beschuldigte zu uns, zeigt auf mit dem Finger auf seine Stirn. „Was mit der da los sei? Typisch Albanerin. Die seien eben durchgeknallt.“

Es heißt, ein Richter solle in die Stadt kommen, um schon am selben Tag ein Urteil zu fällen. Zenepa wartet den Rest des Tages vor der Polizeistation.

Später am Abend sitzen wir zusammen auf der Terrasse des Elternhauses. Der Verhandlungstermin ist auf den nächsten Tag verschoben. Ein Zeuge ist mittlerweile abgesprungen. Er habe Familie, er bitte das zu verstehen. Telefonisch bekommt sie den Ratschlag, die Anzeige zurückzunehmen. „Ist es wirklich nötig, den Typen anzuzeigen?, frage ich, nun auch schon eingeschüchtert. „Wisst Ihr, das läuft hier immer so. Das konnte ich dem doch nicht durchgehen lassen“, antwortet sie.

Drei Wochen später, wir sind längst weitergefahren mit unserem grünen T3. Der Verhandlungstermin lässt auf sich warten. Doch Zenepa wartet nicht: Sie hat in der Zwischenzeit eine internationale Naturschutztruppe in der Saline begrüßt, ein Konzert veranstaltet, das den kulturellen Austausch der Menschen in Ulcinj fördern soll und eine Müllsammelaktion geplant, um dem Plastik auf den Straßen und dem Strand Herr zu werden.

Zenepa Lika sitzt jetzt vielleicht mit gleichgesinnten im Plaza. Und für ihren Kampf für ein besseres Montenegro liegt das nächste Kapitel schon auf dem Tisch!

Und, war das ein Platz, an dem unsere Kinder ein Stück Europa kennenlernen können? Was meint Ihr?

Die Umweltschutzorganisation Dr. Martin Schneider Jacoby Association ist über die Website http://www.ulcinjsalina.me/de/ und über Facebook https://www.facebook.com/ulcinjsalina/ erreichbar.

Mein Dank geht an meinen Ex-Kompagnon und Social Enterpreneur Martin Bünnagel, der den Text freundlicherweise redigiert hat.